Radio
Wer heute an Radio denkt, wird kaum an Oersted, Reis und Bell denken und wohl leider auch nicht an «Maxwell, der die Existenz elektrischer Wellen auf mathematischem Wege aufzeigte». An Hertz vielleicht noch, sollte der Empfänger überhaupt noch beschriftet sein mit Megahertz (MHz) und Kilohertz (kHz).
Albert Einstein forderte am 22. August 1930 in seiner Rede zur 7. Funkaustellung und Phonoschau in Berlin¹ die Menschen dazu auf, den technischen Fortschritt, dessen man sich gerne bedient, angemessen zu würdigen. In seiner optimistischen Rede sieht er den Rundfunk ideal geeignet für den Frieden unter den Völkern, sieht die Demokratie durch das neue Medium gestärkt.
Aber erweckt Radio «die Völker aus schläfriger Stumpfheit»? Das kann man kaum behaupten. Radio nervt doch nur! Die Radionutzung dürfte heute hauptsächlich ‹en passant› geschehen: im Auto, beim Arbeiten im Geschäft oder im Einkauf. Das Radio nebenher, vielleicht für manches Missgeschick durch Versetzen in schläfrige Stumpfheit ursächlich. Der unsichtbare Mensch im Kasten gewährt Durchhörbarkeit (auch im Stau mit Staumeldungen), ist stets bestens gelaunt und versucht laufend jene Musik zu spielen, die vermeintlich gehört werden will.
Die Stärke des Radio ist indessen genau das Gegenteil: Radio reduziert. Um nichts zu verpassen, muss man genauer hinhören und konzentriert sich somit eher auf die Inhalte, ohne Ablenkung durch andere Sinne.
Das gilt nicht unbedingt nur für das Kulturradio, sondern auch für den allerorten hörbaren Unterhaltungsrundfunkdienst (so nannte man das Radio am Anfang). Die Stärke des Radio ist Unterhaltung, aber auch im älteren Sinn des Wortes «stützen» oder «in die Höhe halten»: Radio kann Unbekanntes vorstellen, professionell aufbereiten, recherchieren, fragen und rückfragen und dies alles in einer intimen, nur auf den Hörsinn fokussierten Weise.
Die Frage, ob diese Art Radio bald (durch Kostendruck) erledigt oder durch Spotify, Youtube u.a. Internetplattformen ersetzt wird, ist insofern interessant, als die genannten Plattformen eigentlich eher dem Einschaltradio von früher entsprechen als mancher herkömmliche kommerzielle Sender von heute. Man hört (auch bei Youtube wird vieles nur angehört) Inhalte, welche von jemandem offeriert werden, manchmal sogar moderiert. Gleiches gilt für das Podcasting. In diesem Sinn sind die neuen Hörgewohnheiten in anderem Kleid die alten: Radio, in allen seinen Varianten, lebt!
Dennoch ist das konzentrierte Zuhören von (komplexer) Musik oder anspruchsvoller Wortsendungen die Angelegenheit einer Minderheit. Man findet keine kommerziellen Radiosender, die solche Angebote in angemessener Qualität bieten (auch in Ländern nicht, wo diese Leistungen von staatlicher Seite her ganz fehlen). Kein solcher Sender unterhält eigene Klangkörper oder produziert aufwändig recherchierte und kritische Features und Hintergrundsendungen! Daher sind die Transferleistungen innerhalb der Medienlandschaft (innerhalb der Demokratie) für das Weiterbestehen der Qualität im Radio weiterhin entscheidend: «Man muß auch die notwendigen Dinge verbreiten können, nicht bloß die überflüssigen.»²
¹http://www.einstein-website.de/z_biography/redefunkausstellung.html, zuerst abgedruckt in: Die Naturwissenschaften 48 (1930), S. 33.
²Zitat von Arnold Schönberg aus Alfred Treiber: Ö1 gehört gehört: die kommentierte Erfolgsgeschichte eines Radiosenders. Wien: Böhlau, 2007. ISBN 978-3-205-77495-2. S. 76.